Lauf: Sierre – Ponchette – Chandolin – Hotel Weisshorn – Zinal, 31km, 2200hm*, 13.08.17
Kilian Jornet, Robbie Simpson, Michelle Mayer, Laura Orgue – einige der klangvollsten Namen im Berglaufsport gaben sich die Ehre und schrieben sich für die diesjährige Austragung von Sierre-Zinal ein. So weit so gut. Vielleicht erinnert sich aber der ein oder andere Leser an die kurze Twitter-Mitteilung, in der ich mir den Berglauf Sierre-Zinal als Ziel für 2017 gesetzt hatte.
It seems that I found a new goal for 2017: https://t.co/fktryOoNyX #trailrunning … and another for this year? https://t.co/U5TlxsU7wB
— Lauftrek (@lauftrek) 14. August 2016
Und dieses Ziel setzte ich auch um und trug mich in die Startliste des Rennes ein, das aufgrund der langen Tradition und der hohen Teilnehmerzahl auch liebevoll als „New-York-Marathon“ des Berglaufs beschrieben wird. Der seit 1974 ausgetragene Lauf führt über 31km und 2200hm auf einen Höhenweg oberhalb des Val d’Anniviers von Sierre nach Zinal. Klingt anspruchsvoll. Doch die zusätzliche Bezeichnung als „Rennen der fünf 4000er“ versprach neben körperlichen Anstrengungen auch eine wunderschöne Aussicht.

Und so stand ich am 13.08.2017 um kurz vor 9:45Uhr gemeinsam mit den Favoriten am Start. Und mit stimmungsvoller Musik wurden wir auf die Reise geschickt. Nach ein paar hundert Metern über den Asphalt bogen wir in den eigentlichen Anstieg ein. Auf den nächsten 8km sollte es nicht mehr flacher werden. Im Gegenteil. Steigungsprozente von weit über 20% waren keine Seltenheit, an Joggen nicht zu denken. Schnelles Wandern trifft es eher. Der Puls war dennoch hoch. Und alle im mittleren Feld quälten sich. Etwas demotivierend waren die Hinweisschilder für die nächste Verpflegungsstation, die in 2km erreicht sein sollte. Jedoch mussten dafür auch zuvor gut 250-350hm erklommen werden. Trotzdem hatte ein jeder Teilnehmer, inklusive mir, noch ein kleines Lächeln auf den Lippen.

Bald lichtete der Wald sich etwas und erstmalig konnte ich wahrnehmen, wie sich die Aussicht verändert hatte. Mittlerweile hoch oben über dem Walliser Tal sowie dem Val d’Anniviers thronend erreichten wir schliesslich Ponchette, das erste kleine Zwischenziel. 34% der finalen Laufzeit sollte geschafft sein. 1:24h** sagte die Uhr, für 1300hm gar keine schlechte Leistung. Sollte ich diese Pace halten können, bin ich schneller als meine geplante Zielzeit von 4:30h. Doch noch stieg die Strecke weiter an. Erst kurz vor Chandolin nach gut 10km kam es zu einigen flacheren Passagen. Das Motivierende, der Grossteil der Höhenmeter war geschafft. Das Demotivierende, mir stand noch ein mittelschwerer Halbmarathon bevor. Und eigentlich war ich müde.
Doch was blieb mir weiter übrig, als weiter zu laufen? Die anderen machten das ja auch. Vermutlich Verrückte, diese anderen. Aber wir (also zähle ich mich dazu) wurden schon bald mit einer immer besser werdenden Aussicht belohnt. Ab und zu hielt ich kurz für eine Fotopause. Schön diese Berge. Jetzt erkannte ich sogar die fünf 4000er, die mir versprochen wurden: Weisshorn (4506m), Zinalrothorn (4221m), Ober Gabelhorn (4073m), Matterhorn (4478m) und Dent Blanche (4357m). Dieser Blick sollte mich für die nächsten Kilometer begleiten. Genial. Mehr als genial. Und auch die Zuschauer an der Strecke sorgten dafür, dass die Freude wuchs. Insbesondere bei den Verpflegungsstationen fanden sich unglaublich viele Leute ein, die jeden einzelnen Läufer bejubelten – obwohl die Besten vermutlich vor über einer Stunde vorbeiliefen.

Mein nächstes persönliches Ziel war das Hotel Weisshorn, der höchste Punkt der Strecke und dann wäre das Schlimmste geschafft. Zumindest dachte ich das, bis ich um die anschliessende nächste Kurve nach dem Hotel bog. Denn es ging weiter bergauf. In der mentalen Vorbereitung bin ich so fokussiert auf den ersten Anstieg bis Ponchette gewesen, dass ich mir die verbleibenden Kilometer nicht mehr im Detail angeschaut habe. Jeder einzelne der nächsten 100hm war sowohl psysisch als auch physisch eine Herausforderung. Irgendwie wollte ich nicht mehr weiter hoch. Locker joggen? Ja. Aber weiter aufsteigen? Davon hatte ich jetzt wirklich langsam genug. Aber glücklicherweise wurde mein innerer Wunsch erhört und schon bald ging es abwärts. Nun noch 800hm ins Tal.
Leicht abfallende und langgezogene Passagen machten jetzt wirklich Spass. Der Kilometerschnitt ging fast wieder bis auf 5min runter. Die Muskeln schmerzten leicht, aber man kam dem Ziel näher. Etwas erschreckend war jedoch, dass das Tal sich immer noch „sauweit“ unter uns befand. Mir schwante nichts Gutes – genauer gesagt, schmerzende Oberschenkelmuskulatur. Und tatsächlich wurden die Bergabpassagen jetzt technischer und steiler. Jetzt trennten sich Spreu und Weizen im Bergablaufen. Zwischen denen, die über Stock, Stein und Fels förmlich flogen, und denen, die fast bei jedem Schritt und Tritt vorsichtig und schwerfällig versuchten, die müden Beine zu stabilisieren, um nicht zu stolpern.
Ich war vermutlich irgendwo zwischendrin. Einige sprangen an mir vorbei – andere überholte ich wiederum locker und leicht. Beeindruckend muss es bei den Besten ausgesehen haben. Und denen wird die letzte Downhillpassage kurz vor Zinal sicherlich auch nichts ausgemacht haben. Mir aber schon. Während einige nochmal unheimlich Speed aufnahmen, andere stehend ihre Muskeln massierten, versuchte ich durch kleine Serpentinenkurven Druck von meinen Beinen zu nehmen. Viel half es nicht. Es schmerzte trotzdem. Eigentlich wollte ich jetzt nur noch ins Ziel.
Doch als ich die ersten Häuser erkannte und die Zuschauer wieder mehr wurden, begriff ich langsam, dass es bald vorbei war. Und ich begriff, was ich erreicht hatte. Der Zieleinlauf durch das Spalier von Zuschauern war der reinste Genuss. Bei 4:12h lief ich mit von Adrenalin überfüllt mit positiven Emotionen ins Ziel von Sierre-Zinal ein. Fast 20min schneller als gedacht. Dass ich stolz, zufrieden, k.o., müde, aber glücklich war, muss ich sicherlich nicht schreiben. Ein unvergessliches Erlebnis!

Gewonnen hat bei den Herren übrigens zum fünften Mal Kilian Jornet – in 2:33,05h. Aber der Rekordhalter im Auf- und Abstieg von Matterhorn, Mont Blanc, Elbrus und sogar Mount Everest darf ca. 1:40h schneller sein als ich. Oder?
* Ich habe mal die konservative, aber offizielle Zahl angegeben. Meine mit barometrischen Höhenmesser ausgestattete Garmin Sportuhr kam sogar auf 2585hm. Macht dann aber auch nicht mehr den grossen Unterschied.
** Die Aussage in der Informationsbroschüre des Laufes, dass man bei Ponchette ungefähr ein Drittel seiner finalen Zeit erreichen würde, traf bei präzise zu. 4:12h sind genau 3x 1:24h – die Veranstalter scheinen den Lauf nicht das erste Mal durchgeführt zu haben.