‚An unexpected journey‘ – auf den Speer

Lauf: Ricken – Tanzboden – Speer – Amden, 28.2km, 1783hm, 13.10.2018 (scroll down for English summary)

„Eine unerwartete Reise“ – der Titel des ersten Kapitels des berühmten Buches „Der Hobbit“ war in gewisser Weise das Motto von einem meiner schönsten Läufe des Jahres. Ich freute mich ungemein auf diesen Ausflug, was mich erwartete, konnte ich jedoch nicht mal annähernd erahnen. Nachdem ich mich gegen einen Lauf am Hohen Kasten oder am Moléson – beides zu weit von Zürich entfernt – entschieden habe, wählte ich die Strecke zwischen dem Rickenpass und Amden. Eine kombinierte Wandertour im unteren Toggenburg. Ich wusste nicht genau, wie lang die Tour wird, ich wusste aber, dass ich auf dem Weg liebend gern den Speer erreichen oder überqueren wollte – eine 1951m-hohe markante Erhebung im Vorland des Alpsteingebirges.

Zum dritten Mal kam nun auch der extra für den Ultraks gekaufte Trailrunning-Rucksack zum Einsatz. Die Stöcke liess ich dagegen daheim. Das galt auch für die Speicherkarte des Fotoapparats, die ich jedoch unfreiwillig vergessen hatte (gut, dass es Smartphones gibt). Vom 786m hohen Ricken startete ich die Reise. Sobald ich nach circa 200m vom Asphaltweg auf den Wanderpfad eingebogen bin, überwältigte mich die Vielseitigkeit des Weges. Erst durch Laubwälder, dann durch Nadelwälder, über Wurzelpassagen, mit Treppen, teilweise Singletrails, teilweise breit ausgetreten. Schon bald gewann ich an Höhe und erreichte ich den Grat. Denn eigentlich ist der ganze Weg vom Ricken bis zum Tanzboden ein Gratweg – wirklich schön.

Das Alpsteingebirge thront im Hintergrund, im Vordergrund das gemütliche Berggasthaus Oberbächen
Das Alpsteingebirge thront im Hintergrund, im Vordergrund das gemütliche Berggasthaus Oberbächen

Das bedeutete auch, dass ich bei gutem Wetter eine traumhafte Aussicht geniessen konnten. Und das Wetter war perfekt. Während rechts immer mehr der Zürichsee zum Vorschein kam, erhob sich links das mächtige Alpsteinmassiv mit dem Säntis als höchsten Gipfel. Vor mir, aber noch in respektabler Entfernung wurde der Speer sichtbar. Mein grosses Ziel für heute. Bis zum Tanzboden wechselte sich der Pfad nun wie beschrieben weiter ab. Ich gewann zudem stetig an Höhe und erreichte meinen ersten Verpflegungsstopp nach eineinhalb Stunden – 10km und gut 800hm hatte ich da bereits zurückgelegt.

Im weiteren Verlauf nahm die Anzahl der „Mitwandernden“ ab, der Weg blieb traumhaft schön. Zumindest so lange, so lange ich auf dem Weg blieb. Leider passierte es mir einige Male, dass ich Pfad und Markierung verlor. Durch erfahrenem Orientierungssinn gelangte ich zwar wieder auf den Weg, doch in solchen Momenten machte sich sowohl die einsetzende Müdigkeit als auch der sich langsam aufkommende Hunger doppelt so stark bemerkbar. Die grösste Ernüchterung trat aber ein, als ich den Fuss der Nordwand des Speers erreichte. Der Begriff Nordwand war auch der Grund für meine Enttäuschung. Denn der Gipfel des Speers über diesen Weg war ausschliesslich über einen Klettersteig erreichbar. Sicherlich spektakulär, nur nicht für müde Trailrunner ohne Kletterausrüstung zu empfehlen. Also blieb mir nichts anderes als der Weg drum herum, und dieser schien langwierig.

Auf dem Kamm zur Rechten bin ich gelaufen, doch die Nordwand des Speers zur Linken stellte sich mir in den Weg
Auf dem Kamm zur Rechten bin ich gelaufen, doch der Speer zur Linken stellte sich mir in den Weg

Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten den Weg wiederzufinden (Anmerkung: einige der Wege sind bereits winterfest gemacht worden und daher nicht mehr gekennzeichnet), fing ich mich wieder. Der Körper nahm die Anstrengungen sowie den Energiedefizit als gegeben hin und so erreichte ich die kleine Passhöhe Schilt auf 1638m. Anschliessend erwartete mich das reinste Trailparadies. Etwas hoch, etwas runter, teilweise durch Seil gesicherte Passagen, die Hände waren öfters dabei – und dann erreichte ich eine Abzweigung auf doch schon 1771m über Meer. Links ging es nach Amden, meinem Zielort. Rechts ging es auf den Speer, meinem Hauptziel. Und da der Speer auf dem Normalweg von dieser Abzweigung aus in 25min Wanderzeit erreichbar war, nahm ich den Weg zum Gipfel. Zehn Minuten später stand ich nun oben, genoss die Aussicht, und gönnte mir die wohlverdiente Verschnaufpause.

Ab jetzt begann der Abstieg nach Amden. Fast drei Stunden reine Wanderzeit. Es lag also noch ein gutes Stück vor mir. Ohne Vollgas zu geben – der Muskelkater aus den vergangenen Rennen war noch in meinem Kopf – begab ich mich bergab. Einen schnellen, aber wichtigen Zwischenstopp machte ich in dem Berghaus Oberchäsere. Ein Salamisandwich, 0.4l Cola, 0.5l stilles Wasser später sorgten für einen besser ausbalancierten Energiehaushalt. Und perfekte Laune für die restlichen Kilometer. Dass ich dann perfekt getimt, 2min vor Abfahrt, die Busstation in Amden erreichte, war sozusagen die Kirsche auf der Torte. Ein perfekter Trailrunning-Ausflug, inkusiver der Besteigung des Speers. Unerwartet schön!


English summary: ‚An unexpected journey‘. The opening chapter of the famous book ‚The Hobbit‘ could also have been the title of my trail run adventure between Ricken and Amden. On this ridge run in the lower Toggenburg, I experienced trails and views in perfect conditions. The highlight surely was the climb of the prominent summit of the Speer (1951m) that I reached after a little detour. Terrific. As I hoped for a nice, easy-going run, I could not have dreamed of such stunning trails in such an amazing countryside – unexpectedly beautiful.